Notunterbringung wohnungsloser Frauen in Neukölln

Doris Hammer

Kleine Anfrage

1. Wie viele wohnungslose Menschen sind in Neukölln behördlich registriert (bitte nach Geschlecht und den Unterbringungs- bzw. Leistungsarten a) Unterbringung in vertragsfreien Einrichtungen nach ASOG, b) Unterbringung in Pensionen, Hostels etc., c) Unterbringung in kommunalen Einrichtungen bzw. Einrichtungen mit vertraglich gesicherten Belegungsrechten, d) Maßnahmen gem. § 67 ff SGB XII aufschlüsseln)?

Eine Erfassung getrennt nach dem Geschlecht wird nicht vorgenommen.

Insgesamt zum Stichtag 30.06.2018: 3.032 Personen

davon Erwachsene:1.987

davon Minderjährige:1.045

a) in Einrichtungen der BUL: 1.348 Personen

davon Erwachsene: 986

davon Minderjährige: 362

b) in übrigen Einrichtungen: 1.684 Personen

davon Erwachsene: 1.001

davon Minderjährige: 683

c) kommunale Einrichtungen bzw. Einrichtungen mit vertraglich gesicherten Belegungsrechten haben wir in Neukölln nicht

d) zum Stichtag 30.04.2018 erhielten 727 Haushalte eine Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII

Ergänzend wird mitgeteilt, dass von den zum Stichtag 30.06.2018 o.a. 3.032 untergebrachten Personen 559 EU-Bürger*innen waren (297 Erwachsene, 262 Minderjährige).

2. Wie viele Plätze in Notünterkünften hält der Bezirk vor (bitte nach Notübernachtungen bzw. ASOG-Unterkünften sowie Plätzen speziell für Familien, Frauen und Frauen mit Kindern aufschlüsseln)?

Der Bezirk selbst hält keine Notunterkünfte vor. In Neukölln sind nachfolgende Plätze in speziellen Einrichtungen zur ordnungsrechtlichen Unterbringung für Familien bzw. Frauen und Frauen mit Kindern vorhanden:

- für Familien ein Haus mit 80 Plätzen (vertragsfreie Einrichtung)

- für Frauen und Frauen mit Kindern zwei Häuser mit insgesamt 140 Plätzen (88 und 52 Plätze, vertragsfreie Einrichtung)

Diese Plätze stehen allen Berliner Wohnhilfen für Zuweisungen zur Verfügung.

3. Welche personellen und räumlichen Standards gelten in Neuköllns Notunterkünften und inwiefern werden besondere Bedürfnislagen von Frauen und Frauen mit Kindern in diesen Standards berücksichtigt?

Wie für alle Einrichtungen zur Unterbringung von wohnungslosen Menschen im Land Berlin werden auch in den Neuköllner Notunterkünften die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) herausgegebenen Empfehlungen zu Mindestanforderungen für nicht vertragsgebundene Obdachlosenunterkünfte (Wohnheime, Pensionen, Wohnungen und Appartements) zu Grunde gelegt. Diese berücksichtigen keine besonderen Bedürfnislagen von Frauen und Frauen mit Kindern. Es gibt allerdings einige spezielle Einrichtungen auch in Neukölln (s. Beantwortung zu Frage 2), die Belegung erfolgt allerdings durch alle Bezirke. Die Empfehlungen werden als Anlage beigefügt. Besondere Bedürfnislagen werden einzelfallbezogen konkret vor Ort von den Neuköllner Heimleitungen (von in der BUL geführten Häusern) aufgenommen und nach unserem Eindruck aus den Heimbegehungen auch berücksichtigt.

Da es sich um vertragsfreie Einrichtungen handelt, können keine personellen Standards vorgegeben werden. Alle drei benannten, in der BUL geführten Häuser (siehe Antwort zu Frage 2) beschäftigen jedoch Sozialarbeiter*innen und führen außerhalb der Bürozeiten Zutrittskontrollen durch.

4. Wie bewertet das Bezirksamt die Kapazitätsauslastung und Standards in Neuköllns Notunterkünften?

Die Kapazität der derzeit angebotenen Unterbringungsplätze, welche die Standards erfüllen, wird insgesamt als unzureichend bewertet. Eine Reihe von angebotenen Unterkünften entsprechen diesen Mindestanforderungen nicht, werden jedoch aufgrund der bekannten Situation am Unterbringungsmarkt sowie vor dem Hintergrund des bekannten Marktprinzips von Angebot und Nachfrage durch die Wohnhilfen aller Berliner Bezirke belegt.

Zu den Standards selbst verweist das Bezirksamt auf die Mindestanforderungen des LAGeSo (s. Anlage), welche in einigen Punkten über den gesetzlichen Vorgaben liegen (z.B. Quadratmeterzahl pro Person, Wohnungsaufsichtsgesetz). Die Mindestanforderungen des LAGeSo werden zur Sicherstellung einer grundsätzlich nur vorübergehend vorgesehenen Unterbringung als ausreichend angesehen. Allerdings ist es die Aufgabe der Verwaltung, diese auch wirklich durchzusetzen.

5. Gibt es eine bezirkliche oder berlinweite Wohnungslosenstatistik?

Die berlinweite Wohnungslosenstatistik wird von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geführt, die Bezirke liefern hierfür zu.

6. Wie erfolgt die Kapazitätsplanung für die Unterbringung von Wohnungslosen?

Eine Kapazitätsplanung findet im Bezirk Neukölln nicht statt. Aufgrund des gesetzlichen Anspruchs auf ordnungsbehördliche Unterbringung wird auf Bedarfe reagiert. Die Angebote der Betreiber werden geprüft und, soweit diese die gesetzlichen Vorgaben erfüllen, für die Belegung zugelassen. In Neukölln wird durch die Heimbegehung darauf hingewirkt, die Mindestanforderungen des LAGeSo zu erfüllen. Zur besseren Umsetzung wurde im Bereich der Sozialen Wohnhilfe Neukölln eine Stelle für die Akquise und Überprüfung von Unterbringungsmöglichkeiten eingerichtet.

7. Teilt das Bezirksamt den Grundsatz, dass obdachlose Personen unabhängig von Nationalität bzw. Aufenthaltsstatus einen Anspruch auf Unterbringung haben?

Gemäß der herrschenden Meinung sind obdachlose Personen ungeachtet ihrer Nationalität ordnungsrechtlich unterzubringen, was - soweit sie sich nicht selbst helfen können - bei dem angesprochenen Personenkreis regelmäßig der Fall ist.

Dem Vernehmen nach teilt die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales diese Auffassung. Von dort ist der Erlass einer Ausführungsvorschrift zur Umsetzung des § 23 Abs. 3 SGB XII geplant, in der auch dieses Thema eine Rolle spielen soll. Es dürfte damit gerechnet werden, dass zunächst unterzubringen ist, möglicherweise jedoch zeitlich begrenzt, also bis zur Klärung etwaiger vorrangiger Rechtsansprüche auf Leistungen, insbesondere nach dem SGB II ggf. auch nach dem SGB XII, welche dann über die Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII hinausgehen könnten. In der Regel agiert die Soziale Wohnhilfe Neukölln bereits schon jetzt so.

8. Welche Rahmenbedingungen müssen vorliegen, damit das Bezirksamt von seinem Recht zur Sicherstellung von Wohnraum zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit von wohnungslosen Frauen gem. § 38 ASOG gebrauch macht.

Hierbei handelt es sich um eine äußerst komplexe und komplizierte Rechtsfrage. Nicht nur der/die Gefährdete selbst, sondern auch die Behörde muss außerstande sein, die drohende Rechtsgüterverletzung einer grundsätzlich nachrangigen Beschlagnahmung von Wohnraum (beide müssen alles ihr Mögliche und Zumutbare unternehmen) abzuwenden. Auch gilt der in § 11 ASOG nochmals näher beschriebene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der bei Nichtstörer*innen besondere Beachtung verlangt, da sodann jemand in Anspruch genommen wird, der die Gefahr gerade nicht verursacht hat. Schließlich müsste die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet und ausführlich begründet werden.

Nach alledem verlangt eine Beschlagnahmung von Wohnraum zur Gefahrenabwehr (Einweisungsverfügung) eine rechts- und ermessenfehlerfreie Begründung und Abwägung, insbesondere hinsichtlich der eigenen Bemühungen der/des Gefährdeten und der Behörde sowie weshalb der Schutz des betroffenen Rechtsguts der/des ehemaligen Mieter*in das ebenfalls betroffene Rechtsgut der/des ehemaligen Vermieter*in überwiegt (öffentliches Vollzugsinteresse). Darüber hinaus wäre eine Beschlagnahmung für die Behörde mit erheblichen Rechtsfolgen und Belastungen verbunden (Sorgfalts-, Kontroll- und Obhutspflichten gegenüber der beschlagnahmten Sache, Schadensersatz).

Das Bezirksamt hat sich mit der Thematik beschäftigt und in Einzelfällen bereits geprüft, ob die beschriebenen Voraussetzungen vorliegen könnten, was allerdings zu verneinen war. Das Bezirksamt Spandau ist zudem kürzlich in einem, im Zusammenhang mit dieser Thematik stehenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin unterlegen. Hierbei wurde durch den Wohnungseigentümer gegen die sofortige Vollziehung der ordnungsrechtlichen Wiedereinweisung Widerspruch eingelegt und die aufschiebende Wirkung des Wiederspruchs durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin wiederhergestellt (AZ: 23 L 193.18).