Unzumutbare Bearbeitungszeiten beim Unterhaltsvorschuss?

Doris Hammer

Große Anfrage

1. Trifft es zu, dass in Neukölln die Bearbeitung eines Antrag auf Unterhaltsvorschuss mehr als 3 Monate in Anspruch nimmt und was sind aus Sicht des Bezirksamts die Gründe für diese unzumutbare Bearbeitungszeit?

Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrages beträgt aktuell in Neukölln drei Monate. Es handelt sich um eine qualifizierte Schätzung(!) zur durchschnittlichen Bearbeitungszeit, da keine Statistik hierzu geführt wird.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die in Rede stehende Gesetzesänderung erst am 18. August 2017 rückwirkend zum 1. Juli 2017 veröffentlicht wurde. Anträge mit Bezug auf die Neuregelung des Unterhaltsvorschussgesetzes gingen im Jugendamt Neukölln jedoch bereits im Juni 2017 ein und galten folglich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits für einen Zeitraum von bis zu zwei Monaten als

unbearbeitet. Es gab zu einem früheren Zeitpunkt jedoch schlichtweg keine Rechtsgrundlage für eine Bearbeitung dieser Anträge.

Eine Bearbeitungszeit von über drei Monaten ergibt sich aktuell in der Regel dadurch, dass häufig Unterlagen von den Antragsstellerinnen und Antragsstellern nachgereicht werden oder auch unvollständige Angaben nachgeprüft, nachgefragt oder auf Plausibilität geprüft werden müssen. Um es klar zu sagen: Auch hier gibt es immer wieder Versuche des Sozialleistungsmissbrauchs, dem so gut es geht vorgebeugt werden muss.

Selbstverständlich ist die Bearbeitungszeit bei Vorliegen aller notwendigen Angaben deutlich schneller und liegt bei ca. 4 bis 6 Wochen.

Generell war seit dem 1. Juli 2017 durch eine hohe Fallzahlsteigerung eine längere Bearbeitungszeit zu verzeichnen, da auch noch nicht das zusätzliche Personal vollständig eingestellt werden konnte. Es wurden prioritär Anträge abgearbeitet, in denen die Antragstellerin bzw. der Antragssteller keine Transferleistungen durch das Jobcenter erhielten, da sie tatsächlich auf die Zahlungen angewiesen waren bzw. sind. Für die übrigen Fälle ergab sich daraus zwangsläufig eine längere Bearbeitungszeit, allerdings auch keine finanziellen Nachteile für diesen Personenkreis.

2. Hält das Bezirksamt eine Bearbeitungsdauer von mehr als 3 Monaten angesichts der häufigen Notsituation von Alleinerziehenden für angemessen?

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Unterhaltsvorschussstelle leisten insbesondere seit Umsetzung der Neuregelung des Unterhaltsvorschusses und der damit einhergehenden Ausweitung des Leistungsumfangs rückwirkend zum 1. Juli 2017 eine hervorragende Arbeit. Auch ihnen ist es ein großes Anliegen die eingehenden Anträge auf Unterhaltsvorschusszahlungen zeitnah zu bearbeiten.

Zutreffend ist aber auch, dass die Bewilligungsverfahren im zweiten Halbjahr 2017 berlinweit in ca. zwei Drittel aller Fälle länger als drei Monaten dauerten. Es handelt sich hierbei also nicht um ein Neuköllner Phänomen. Gleichwohl gab und gibt es in Neukölln eine klare Prioritätensetzung: Anträge von Alleinerziehenden werden vorrangig bearbeitet. Hierbei handelt es sich in aller Regel um Alleinerziehende, die keine Transferleistungen erhalten. Dies ist die Personengruppe, die einen finanziellen Vorteil durch das neue Unterhaltsvorschussgesetz hat, da bei Hartz IV-Empfängern der zusätzliche Unterhaltsvorschuss mit den Jobcenter-Leistungen verrechnet wird. Dieser – aus meiner Sicht - gesetzliche „Webfehler“ führt auch zu dem hohen Personalbedarf, um die interne Abrechnung zwischen Bezirken und Jobcentern zu bewerkstelligen ohne(!) das die Anspruchsberechtigten einen Mehrwert davon haben.

3. Wie viele der Stellen in der Unterhaltsvorschussstelle (in Vollzeit-Äquivalenten) sind derzeit besetzt?

Die Anzahl der tatsächlich vorhandenen Vollzeitäquivalenten (VzÄ) betrug zum 30. Juni 2018 in der Unterhaltsvorschussstelle rd. 19 VzÄ (ohne Gruppenleitung), bei insgesamt 23 besetzbaren VzÄ (ohne Gruppenleitung). Zwei VzÄ sind derzeit im Besetzungsverfahren. Darüber hinaus ergibt sich die Differenz zwischen besetzbaren

und tatsächlich besetzten Vollzeitäquivalenten aus individuellen Reduzierungen der wöchentlichen Arbeitszeit.

4. Trifft es zu, dass sich die Personalsituation in der Unterhaltsvorschussstelle zwischen Ende 2017 und Ende Mai 2018 drastisch verschlechtert hat und was sind die Gründe für diese Verschlechterung?

Nein, die Personalsituation hat sich im angefragten Zeitraum nicht drastischverschlechtert. Die Anzahl der Stellen im Bereich des Unterhaltsvorschusses wurde insgesamt um die seitens der Senatsfinanzverwaltung im Februar 2017 und September 2017 zugesagten sechs Stellen erhöht. Gleichwohl besteht ein weitergehender Personalbedarf.

5. Welche Maßnahmen ergreift das Bezirksamt, um die Bearbeitungsdauer auf ein für die Antragsteller*innen zumutbares Maß zu verringern?

Ich habe gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen, im Rat der Bezirksbürgermeister und auch in der Sitzung der Jugendstadträte in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass zur Erfüllung des in Rede stehenden familienpolitisch wichtigen Auftrages die Finanzierung weiterer zusätzlicher Vollzeitäquivalente dringend erforderlich ist. Mein Schreiben vom 24.10.2017 an die Finanzverwaltung blieb bis zum heutigen Tage jedoch unbeantwortet.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2017 wurden die Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister seitens der Senatsinnenverwaltung und der Senatsfinanz- verwaltung vielmehr darum gebeten, dass sich die bezirklichen Jugendämter, wenn möglich, bei der Bearbeitung der Vielzahl an Anträgen gegenseitig kollegial unterstützen mögen. Ich halte dieses Ansinnen für einen Treppenwitz und völlige Verkennung der Lage in den Jugendämtern seitens der Senatsverwaltung.

Nach derzeitigem Stand wird es nach Aussage der Senatsverwaltung für Finanzen keine weiteren VZÄ-Zuweisungen über die Grundzuweisungen der oben bereits genannten sechs Stellen hinaus geben.

Tatsächlich ist der aktuelle Stand, dass in Neukölln die Fallzahlen gegenüber dem Vorjahr von 2.331 (Stand 12.2017) bereits auf 3.743 (Stand 8.2018), d.h. um 60 %, gestiegen sind (Quelle: KLR, Bezugsgröße „aktive Daueraufträge“). Gleichzeitig liegen noch 207 unbearbeitete Anträge vor, von denen nach den Erfahrungswerten voraussichtlich 70 % bewilligt werden (d.h. + 145 Fälle). Demnach ist der Fallzahlzuwachs höher als der bisherige Personalzuwachs und folglich wird unzweifelhaft – nunmehr auch statistisch belegbar – mehr Personal benötigt.

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am 25. September 2018 beschlossen, zwei VZÄ unbefristet zur Verstärkung der Unterhaltsvorschussstelle in der Abteilung Jugend und Gesundheit einzusetzen, um die in Folge der Änderung des UVG zum 1. Juli 2017 gestiegenen Fallzahlen zu bewältigen. Das Finanzrisiko trägt dabei die Abteilung Jugend und Gesundheit.

Ich sehe das allerdings als Vorgriff auf die weiteren Stellenzuweisungen durch den Senat, die aus meiner Sicht aufgrund der Fallzahlensteigerung und auch der damit einhergehenden ansteigenden Kostenheranziehungsfälle unumgänglich sind.

Zumal mir zwischenzeitlich das Ergebnis der Abfrage durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zur aktuellen Datenlage in den Berliner Bezirken im Bereich des Unterhaltsvorschusses zugegangen ist und die Modellberechnung zum VZÄ-Bedarf für Neukölln einen zusätzlichen Personalbedarf von rund zwei Stellen ergeben hat.

Ich halte diesen Schritt daher für richtig und notwendig und fordere alsdann die Basiskorrektur durch den Senat ein.

Im Übrigen wird das Jugendamt in den überbezirklichen Gremien darauf hinwirken, dass sowohl die Arbeit an der Überprüfung der Bezugsgröße als auch einer geeigneten Personalbemessungsgrundlage fortgeführt werden. Die unzureichende Bezugsgröße für das Produkt 78809 „Unterhaltsvorschuss für Kinder“ stellt nämlich kein unerhebliches ein Problem dar. Mit der „Anzahl der aktiven Daueraufträge“ werden noch keine Anträge oder die Antragsbearbeitung, die ggf. auch zu Ablehnungen führen, gezählt. Ebenfalls nicht erfasst werden mit der Bezugsgröße die reinen Kosteneinziehungen, bei denen es keine laufenden Zahlungen mehr gibt, die aber für die sehr kritisch betrachtete sog. „Rückholquote“ von Bedeutung sind.