Bericht von der 30. Sitzung der BVV Neukölln

Carla Aßmann

Einwohnerfragestunde: Mietenprobleme und Schulreinigung | Entschließung: #FridaysForFuture sind gelebte politische Bildung | Jobcenter Neukölln: Nach wie vor Recht auf Bescheinigung der Abgabe von Unterlagen | Investitionsplanung: Zum Teil eine Luftnummer? | Blockierte Diskussion: Kaltkriegsstimmung bei CDU, FDP und AfD

Einwohnerfragestunde: Mietenprobleme und Schulreinigung

Fünf Einwohneranfragen zu Beginn der Sitzung thematisierten Probleme, die den Neuköllnerinnen und Neuköllnern auf den Nägeln brennen. Drei dieser Anfragen drehten sich um das Thema Mieten. Die Hausgemeinschaft aus der Friedelstraße 7 ist in großer Sorge, weil das Gebäude unlängst zu einem horrenden Preis verkauf wurde. Offenbar erwartet der Käufer hohe Gewinne aus den Mieteinnahmen. Die Mieterinnen und Mieter hoffen, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht wahrnimmt. Jedoch befürchten sie, dass der Vermieter stattdessen in eine Abwendungsvereinbarung einwilligen wird, weil deren Auflagen nicht strikt genug sind, um seine Aufwertungspläne zu durchkreuzen. Deshalb fragten sie, wann eine berlinweit gültige Abwendungsvereinbarung mit strengen Auflagen eingesetzt werde und wie sich das Bezirksamt dann für die Interessen der Mieterinnen und Mieter einsetzen werde. Die Antwort des Stadtrats für Stadtentwicklung und Wohnen, Jochen Biedermann, fiel wie gewohnt zwar mitfühlend, aber vage aus: An einer einheitlichen Vorlage für Abwendungsvereinbarung werde gearbeitet und derweil tue das Bezirksamt natürlich alles in seiner Macht stehende. Dennoch ist der Öffentlichkeit bis heute nicht zugänglich, was in Neukölln üblicherweise in solch einer Abwendungsvereinbarung steht. Über eine gewisse Skepsis, was die Schärfe der darin enthaltenen Auflagen betrifft, braucht sich das Bezirksamt daher auch nicht zu wundern.

Dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften nicht nur das Wohl der Mieter im Sinn haben, bewies eine Anfrage aus dem Haus Richardplatz Nr. 7. Dort will die „Stadt und Land“ die Gasetagenheizung gegen Fernwärme austauschen. Dies gilt nach wie vor als Modernisierung, die sich auch im Milieuschutzgebiet in höheren Mieten niederschlagen kann. Dazu kommen dann noch die höheren Heizkosten. Immerhin stellte Stadtrat Biedermann hier eine Überarbeitung der Regelungen in Aussicht. Ob die allerdings noch den Betroffenen am Richardplatz 7 zugutekommen wird, ist fraglich.

Eine weitere Anfrage zielte auf das zweifelhafte Geschäftsgebaren des Immobilienkonglomerats „Pears Global Real Estate“, das sich hinter mindestens 75 Luxemburger Briefkastenfirmen versteckt und nicht nur in Neukölln große Bestände besitzt. Einer dieser Scheinfirmen gehört das Haus Weisestraße 56, in dem die linke Kiezkneipe „Syndikat“ ihre Räume hat. Nachdem die Hauseigentümerin dem Syndikat nach 33-jährigem Bestehen den Mietvertrag gekündigt hatte und für die Mieterinnen und Mieter nicht zu sprechen war, deckte das Betreiberkollektiv zusammen mit Unterstützerinnen und Unterstützern durch Detektivarbeit das undurchsichtige Firmengeflecht auf und reiste zum Hauptsitz nach London, um dort mit „Pears Global“ über eine Verlängerung des Mietvertrags zu verhandeln. Doch vergeblich: Der Immobilienfirma ist es egal, wenn sie die jahrzehntelang gewachsene Infrastruktur im Kiez zerstört – das Mietshaus soll in teures Wohneigentum umgewandelt werden. Weil bekannt ist, welche Schikanen Hauseigentümer anwenden, um vor dem Verkauf Mieterinnen und Mieter loszuwerden, erkundigte sich ein Einwohner nach aktenkundigen Verstößen gegen den Mieterschutz und andere Gesetze der zu „Pears Global“ gehörenden Firmen. Leider konnte der Stadtrat da nicht weiterhelfen, denn solche Daten erfasse sein Amt nicht, teilte Biedermann mit.

Nicht zum ersten Mal nutzte Sebastian Haße die Einwohnerfragestunde im Zusammenhang mit seinem Einsatz für den Akazienwald in Britz, der ihm auch bereits einige Aufmerksamkeit der Medien eingebracht hat. Er wollte mit Plakaten im Wäldchen für einen Müllsammel-Aktionstag werben, dies wurde vom Bezirksamt verboten. Auf die Frage nach dem Warum hatte das Bezirksamt lange Erklärungen, doch es blieb beim Verbot. Seltsam, denn ansonsten brüstet es sich doch bei jeder Gelegenheit seines Einsatzes für Sauberkeit im öffentlichen Raum.

Die fünfte Einwohneranfrage betraf die Reinigung von Neuköllner Schulen. Die Schulreinigung hat das Bezirksamt an Privatunternehmen vergeben und das Ergebnis bietet vielfach Anlass zu Beschwerden: Klassenräume, Flure und Toiletten bleiben dreckig, weil nicht genügend Arbeitsstunden für die Reinigung vorgesehen sind. Diese Situation ist für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Reinigungskräfte gleichermaßen belastend. Von einer Rückführung der Schulreinigung an den Bezirks will das Bezirksamt aber nichts wissen.

Entschließung: #Fridays for Future sind gelebte politische Bildung!

Die Fraktion der LINKEN hatte eine Entschließung eingebracht, in der die BVV das Engagement von Schülerinnen und Schülern würdigt, die freitags statt in die Schule für einen konsequenten Klimaschutz auf die Straße gehen. Ziel ist es auch, Schülerinnen und Schülern den Rücken zu stärken, denen für ihr Engagement Sanktionen wegen unentschuldigten Fehlens drohen. Eine gleichlautende Entschließung war auf Initiative der dortigen SPD vom Landtag in Schleswig-Holstein beschlossen worden. Auf Vorschlag der Grünen war die Entschließung noch leicht verändert worden, so dass auch die SPD ihre Zustimmung signalisiert hatte.

Diese einmütige Unterstützung für die Jugend in ihrem Einsatz für die Zukunft des Planeten hielten offenbar die anderen Parteien nicht aus: In der Debatte wähnte man sich zurück in den 1950er Jahren: Die CDU pochte bieder auf die Einhaltung der Schulpflicht und unterstellte den Schülerinnen und Schülern, es sei ihnen gar nicht ernst mit dem Klimaschutz und sie demonstrierten nur des Unterrichtsaufalls wegen. In das selbe Horn tuteten die Verordneten der FDP. Diese unterirdische Einstellung wurde von der Fraktion der AfD und deren ehemaliger Mitglieder selbstverständlich noch unterboten. Abwechselnd wurde ein von Menschen gemachter Klimawandel geleugnet oder Deutschlands Verantwortung an einem (dann doch existierenden) Klimawandel kleingeredet.

Mit den Stimmen von LINKEN, Grünen und der SPD wurde die Entschließung dennoch beschlossen.

 

Mündliche Anfragen: Beim Jobcenter gibt es nach wie vor das Recht auf Bescheinigung der Abgabe von Unterlagen

In den letzten Wochen hatten sich einige Betroffene beschwert, dass das Jobcenter Neukölln ihnen erneut die Bestätigung von persönlich abgegebenen Unterlagen verweigerte. Die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion der LINKEN, Doris Hammer, ging der Sache nach, bekam aber vom Jobcenter keine Auskunft. Deshalb fragte sie den Sozialstadtrat mit einer mündlichen Anfrage danach. Dieser verlas eine Stellungnahme von Jobcenter. Laut dieser Stellungnahme wird die Abgabe von Unterlagen weiterhin durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters bestätigt. Darauf können sich die Betroffenen nun berufen, falls ihnen die Bestätigung doch verweigert werden soll.

 

Investitionsplanung 2019-2023: Zum Teil eine Luftnummer?

Mit dem Investitionsprogramm beschließt die BVV, in welche Bau- und Sanierungsprojekte des Bezirks in den kommenden Jahren Geld fließen soll. Dabei stehen Sanierung und Neubau von Schulen an erster Stelle. Allerdings war auffällig, dass für viele wichtige Vorhaben bis Ende des Jahres 2023 lediglich 1000 Euro eingepant waren – so zum Beispiel bei der lange angekündigten Sanierung des Jugendclubs „Manege“. Für 1000 Euro, so verdeutlichte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Thomas Licher, kann man aber gerade mal einen Bauzaun aufstellen. Der deutlich höhere Rest des benötigten Geldes soll laut aktueller Planung erst im Jahr 2024 fließen – aber über die Ausgaben von 2024 wird jetzt noch gar nicht entschieden. Auf die Rückfrage der LINKEN hieß es vom Bezirksamt, die geplanten 1000 Euro seien lediglich „Platzhalter“. Doch ob dann wirklich im Planungszeitraum das tatsächlich benötigte Geld auch fließt, kann nicht versprochen werden. Daher enthielt sich DIE LINKE bei der Abstimmung über die Investitionsplanung.

 

Totentanz und Kalter Krieg

In den verbleibenden anderthalb Stunden der Sitzung konnten gerade einmal fünf vertagte Drucksachen behandelt werden – und dabei handelte es sich bei dreien auch noch um Anträge, die bereits in den zuständigen Ausschüssen diskutiert und abgestimmt worden waren.

Der Grund dafür war das Verhalten von CDU, FDP und den Verordneten und Ex-Verordneten der AfD: So verweigerte BV Zielisch die Konsensliste und stellte eine Große Anfrage, wann, wo, wie oft und wie viel Schweinefleisch in Schulcafeterien angeboten werde. Die CDU führte mit ihrer Großen Anfrage zum Bodenschutz fort, was sie mit einer mündlichen zum Thema Friedhofsflächen zuvor begonnen hatte: Sie bot ihrem Stadtrat für Umwelt- und Naturschutz Eberenz (jetzt CDU, früher AfD) die Gelegenheit, sich ausgiebig am Rednerpult zu produzieren. Auch hier nahm der Stadtrat in seinem Sermon das Thema Friedhöfe wieder auf, ohne etwas Neues zu sagen zu haben – eine wahre Totenmesse für sinnvolle Kommunalpolitik.

Der Geruch von Gruft begleitete auch die folgende Debatte über den Antrag der FDP, eine Ausstellung und Veranstaltungsreihe zum Gedenken an die Berliner Luftbrücke auszurichten. Im Ausschuss für Bildung, Schule und Kultur war der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden, weil das Museum Neukölln bereits eine Ausstellung zu diesem Thema gemacht hat.

Mit dieser Erklärung wollten sich die FDP-Verordneten nicht abfinden, auch Vertreter von CDU und AfD gebährdeten sich als Wiedergänger der Kalten Krieger zu „Frontstadt-Zeiten“ und beschworen die Gefahr einer Bolschewisierung Neuköllns herauf, sollte es keine doppelte Austellung im Bezirk geben. Mit den Stimmen der LINKEN und der SPD konnte aber der Empfehlung des Ausschusses entsprochen werden und der Antrag wurde abgelehnt.

Das Ergebnis dieser anhaltenden Selbstbeschäftigung: Weiter darauf warten, dass sinnvolle Politik für die Neuköllnerinnen und Neuköllner möglich wird, und eine zusätzliche BVV-Sitzung am 18. März.