An jedem zweiten Tag findet in Neukölln eine Zwangsräumung statt

In 202 Fällen hat das Amtsgericht Neukölln im vergangenen Jahr einen Termin für eine Zwangsräumung festgesetzt. Dies geht aus der Beantwortung einer Anfrage der Linksfraktion Neukölln hervor. Dazu erklärt Georg Frankl, sozialpolitischer Sprecher der Linksfraktion:

Im Schnitt wird an jedem zweiten Tag irgendwo in Neukölln eine Familie mitsamt Hab und Gut aus ihrer Wohnung vertrieben, weil sie die Miete nicht gezahlt hat oder nicht zahlen konnte. Für diese Menschen dürfte es sehr schwer sein, wieder eine neue Wohnung zu finden. Hier zeigt sich das Versagen von Bund und Land bei der Lösung der Wohnungskrise und eine verfehlte Sozialpolitik.

Ein großer Teil der Räumungsklagen richtet sich gegen Transferleistungsbeziehende. Bei 359 vom Amtsgericht mitgeteilten Räumungsklagen wegen Mietschulden(Stand 12.12.2023) waren 57 Beziehende von Leistungen nach SGB II (Arbeitslosengeld II) und 26 Beziehende von Leistungen nach SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) betroffen. In der Regel übernehmen für diesen Personenkreis das Jobcenter bzw. das Sozialamt die Kosten für Unterkunft und Heizung. Dass hier dennoch Mietschulden anfallen, könnte unter anderem daran liegen, dass Jobcenter und Sozialamt die Mieten nur bis zu einer gewissen Höhe übernehmen. Das Bezirksamt Neukölln kann aber keine Angaben dazu machen, bei wie vielen räumungsbedrohten Leistungsbeziehenden die Angemessenheitsgrenze für die Übernahme der Kosten der Unterkunft überschritten wurde.

Laut Angaben des Bezirksamt sind zu hohe Mieten auch ein Grund, warum Anträge auf Mietschuldenübernahme regelmäßig abgelehnt werden. Frankl kritisiert diese Praxis scharf:

Wenn das Jobcenter die Mietschulden nicht übernimmt, landen die Leute aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Unterkunft für Wohnungslose. Die Tagessätze liegen dort bei im Schnitt 27 Euro pro Person am Tag, also bei über 800 Euro im Monat. Und obwohl das dann in der Regel noch mal deutlich teurer ist als die ursprüngliche Miete, werden diese Kosten dann wieder vom Jobcenter übernommen. Das Jobcenter verantwortet also Räumungen, weil die Mieten zu hoch sind, nur um dann die noch viel höheren Kosten für die Unterbringung in einem Wohnheim zu zahlen.

Die Richtwertmiete (Grundmiete + kalte Betriebskosten) für einen Einpersonenhaushalt im regulären Wohnraum liegt bei 426 Euro monatlich. Die durchschnittlichen vom Jobcenter übernommenen Kosten der Unterkunft und Heizung für einen Einpersonenhaushalt lagen im Dezember 2022 in Berlin bei 500,36 Euro. Dahingegen liegen bei einem angenommenen Tagessatz von 27 Euro für ein Mehrbettzimmer in einem Wohnheim die monatlichen Gesamtkosten der Unterbringung bei 810 Euro.

In 2023 wurden ca. 60 Prozent der Anträge auf Mietschuldenübernahme abgelehnt. Viele Anträge werden dabei gar nicht erst gestellt, weil die Vermieter die Zusicherung verweigern, das Mietverhältnis fortzusetzen, wenn die Mietschulden beglichen werden. Die Linksfraktion Neukölln fordert deshalb den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen, derzufolge diese das Sozialamt frühzeitig über kündigungsrelevante Mietschulden informieren und zugleich zusichern, das den Mietvertrag bei Begleichen der Mietschulden fortzusetzen.