Dunkelfeld Wohnungsräumungen: Amtsgericht Neukölln verhängt die meisten Räumungstitel

Auf Initiative der Linksfraktion hat die BVV Neukölln im Mai 2024 beschlossen, mehr Transparenz bei Räumungstitel und Zwangsräumungen in Neukölln herzustellen. Das Amtsgericht Neukölln wurde gebeten, nicht nur die Zahl der Räumungsklagen aufgrund von Mietschulden mitzuteilen, sondern auch die verhängten Räumungstitel und die vollstreckten Zwangsräumungen.

Der Präsident des Amtsgerichts Neukölln hat im Oktober 2024 mitgeteilt, dass leider keine entsprechenden Daten übermittelt werden können, da sie im erbetenen Detailgrad nicht erfasst werden.

Eine aktuelle Anfrage der Abgeordneten Katrin Schmidberger und Taylan Kurt (Grüne) im Abgeordnetenhaus brachte nun dennoch Zahlen für Neukölln zutage.

Der Beantwortung der Anfrage zufolge gibt es in keinem Bezirk so viele Klageschriften zum Thema Räumung wie in Neukölln. In 2024 wurden 2568 Klageschriften eingereicht, gefolgt von Lichtenberg mit 1133 Verfahren.

Die Datengrundlage ist jedoch prekär, weil die Zahlen keiner statistischen Erhebung entstammen, sondern auf einer Auswertung durch die Amtsgerichte aus ihrem IT-Fachverfahren beruhen. Unterschiedliche Auswertungsanfragen können hier zu nicht vergleichbaren Ergebnissen führen.

In Neukölln dürften sich die über 2500 Verfahren auch nicht nur auf Wohnraum, sondern auch auf Gewerberäume beziehen. Zudem finden sich hier nicht nur die Räumungsklagen wegen Mietschulden wieder, sondern auch Räumungsbegehren aus anderen Gründen.

Allerdings melden die Amtsgerichte Räumungsklagen wegen Mietschulden an die Bezirke. Diese werden daher in allen Bezirken außer Treptow-Köpenick und Reinickendorf erhoben, ebenso wie die verhängten Räumungstitel.

Diesen Zahlen zufolge wurden in Neukölln in 2024 366 Räumungsklagen wegen Mietschulden eingereicht. In 270 Verfahren (74 Prozent) kam es zu einem Räumungstitel. Damit liegt Neukölln in absoluten Zahlen an der Spitze. Nur in Steglitz-Zehlendorf und Pankow endeten laut den veröffentlichten Zahlen prozentual noch mehr Verfahren mit einem Räumungstitel. Allerdings gibt es bei den Zahlen eine Unstimmigkeit. So wurden in Steglitz-Zehlendorf mehr Räumungstitel verhängt, als überhaupt Räumungsklagen wegen Mietschulden eingereicht wurden.

Außerdem zeigen die Zahlen eine erhebliche Spannweite. Während in Mitte gerade einmal jedes fünfte Verfahren mit einem Räumungstitel endete, wurden in Pankow in acht von zehn Verfahren Räumungstitel verhängt.

Nach wie vor herrscht in Berlin beim Thema Wohnungsräumungen eine große Intransparenz. Es gibt keine statistische Erhebung durch die Berliner Justiz oder das Land Berlin. Die Zahlen, die es gibt, beruhen auf Angaben der Bezirken. Sie sind unvollständig und nicht immer plausibel. Und es fehlen Zahlen zu den verhängten Räumungstiteln durch Versäumnisurteil sowie die Anzahl der tatsächlich vollstreckten Räumungstitel.

Dabei wäre insbesondere die Zahl der Versäumnisurteile aufschlussreich, weil sie Auskunft über die Tätigkeit der sozialen Wohnhilfen der Bezirke erlauben würde. Denn deren Aufgabe ist es, beklagte Mietparteien aufzusuchen, zu informieren und ggf. Unterstützung bei der Rettung der Wohnung, etwa durch Begleichung der Mietschulden, anzubieten. Ein Versäumnisurteil erfolgt, wenn die beklagte Mietpartei nicht zum Verfahren erscheint.

Nach wie vor müssen in Berlin jeden Tag fast vier Mietparteien ihre Wohnungen räumen. Hinter diesen Zahlen verbergen sich dramatische Schicksale. Wer in Berlin seine Wohnung verliert, hat so gut wie keine Chance, schnell eine neue Wohnung zu finden. Wer nicht bei Freunden oder Familie unterkommen kann, landet auf der Straße oder in einem der vollkommen überlasteten Heime. Bei 30.000 untergebrachten Menschen haben die Bezirke heute große Schwierigkeiten überhaupt noch ausreichend geeignete Unterkünfte anbieten zu können. Doch der aktuelle Senat zeigt keinerlei Wille, diese Problematik wirksam anzugehen. Ein erster Schritt bestände dahin, eine gute Datengrundlage zu schaffen.