Keine Entwarnung für den Neuköllner Haushalt 2024/2025

Das Entsetzen war groß als das Bezirksamt Neukölln am 28. Juni 2023 ankündigte, Jugendfreizeiteinrichtungen zu schließen, die Sucht- und Obdachlosenhilfe zu streichen, dem Wachschutz an Neuköllner Schulen zu kündigen und die Wasserspielplätze im Bezirk zu schließen, sollte der Berliner Senat den Bezirken für die Haushaltsjahre 2024/2025 nicht mehr Geld zur Verfügung stellen. An der Protestkundgebung der Neuköllner Linkspartei gegen die Kürzungsmaßnahmen am 5. Juli haben rund 800 Menschen teilgenommen und ihren Unmut über die Sparpolitik zum Ausdruck gebracht. Auch in den kommenden Wochen gab es immer wieder Proteste und Kundgebungen vor dem Rathaus und weitere sind geplant. Am 20. Juli teilte der Senat schließlich mit, dass die Bezirke 100 Millionen Euro mehr bekommen. Das Bezirksamt Neukölln konnte bis auf die Streichung des Wachschutzes an 12 Neuköllner Schulen die angekündigten Kürzungsmaßnahmen zurücknehmen. Und auch die Verzögerung bei der Stellenbesetzung blieb, wenn auch in kleinerem Umfang erhalten. Doch auch wenn ein Großteil der Kürzungsmaßnahmen wieder zurückgenommen wurden, bedeutet das nicht, dass es keine weiteren Kürzungen geben wird. Diese sind entweder im Haushaltsentwurf schon eingeplant oder drohen im Falle einer nicht unwahrscheinlichen Haushaltssperre. Bedroht sind in erste Linie Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien sowie für Suchtkranke und Obdachlose.

So fehlen in der Neuköllner Jugendsozialarbeit, der Schulsozialarbeit und der Familienförderung ca. 400.000 Euro um das Niveau von 2023 zu halten. Kürzungen bei den Angebotsmengen sind hier vorprogrammiert, sollten nicht noch Mittel aus dem Jugendgewalt-Gipfel die Lücken stopfen. Doch ob, wann und in welcher Höhe diese Mittel bereitgestellt werden, ist nach wie vor unklar. Ein großes Loch tut sich auch in der allgemeinen Kinder- und Jugendarbeit auf. Zwar kann das Jugendamt in 2024 und 2025 mehr Angebotsstunden in den Jugendfreizeiteinrichtungen finanzieren als noch in 2023. Allerdings bleibt die Angebotsmenge immer noch hinter dem eigentlichen Bedarf zurück. Um den vom Kinder- und Jugendfördergesetz vorgeschriebenen Bedarf zu erfüllen, bräuchte es ca. 1 Million Euro mehr. Weit unter dem Bedarf liegen auch die Mittel für Jugenderholungsreisen und die curricularen Angeboten – also zum Beispiel Gruppenprojekten mit dem Schwerpunkt Medienkompetenz.

Besonders betroffen sind aber auch die freien Mitarbeiter*innen der Volkshochschulen und Musikschulen. Für diese hat der Senat keine Honorarerhöhung vorgesehen. Trotz steigender Mieten und Inflation gehen die Honorarkräfte in 2024 und 2025 also leer aus.

Während diese Kürzungen bereits im aktuellen Haushaltsentwurf eingeplant sind, kann eine Haushaltssperre zu noch viel dramatischeren Kürzungen führen. Die Haushaltssperre droht, wenn die im Haushaltsplan festgesetzte Pauschale Minderausgabe nicht aufgelöst werden kann. Die pauschale Minderausgabe ist eine Art Puffer im Haushalt. Sie ermöglicht die Aufstellung eines Haushaltsplans in dem die Einnahmen minus die Ausgaben am Ende null ergeben. Mit der pauschalen Minderausgabe mindert das Bezirksamt rechnerisch die Ausgabenseite. In Neukölln beträgt die Pauschale Minderausgabe für 2024 9,3 Millionen Euro. Dieser Betrag muss im Laufe des Haushaltsjahres aufgelöst werden, indem geplante Ausgaben nicht realisiert werden. Das kann zum Beispiel dadurch entstehen, dass Stellen nicht besetzt werden können, sodass die Personalmittel weitere Sachmittel liegen bleiben. Das Problem mit der Auflösung der Pauschalen Minderausgabe ist, dass der Hauhalt derart auf Kante genäht ist, dass das Risiko von nicht unerheblichen Ausgabensteigerungen besteht. Sollte sich im Laufe des Haushaltsjahres 2024 oder 2025 abzeichnen, dass durch außerplanmäßige Ausgabensteigerungen die Pauschale Minderausgabe nicht aufgelöst werden kann, kommt die Haushaltssperre. Mit diesem Disziplinarinstrument können alle Ausgaben gestrichen werden, die irgendwie gestrichen werden können. Dies trifft in erster Linie Leistungen die von freien Trägern im Bereich und Jugend und Soziales erbracht werden, also Jugendfreizeiteinrichtungen, Familienzentren, der Suchthilfe oder der Straßensozialarbeit. Auch die Kündigung von Verträgen in der Schulsozialarbeit oder der Jugendsozialarbeit ist nicht ausgeschlossen.

Die Linksfraktion Neukölln fordert eine auskömmliche Finanzierung der Bezirke. Dies bedeutet nicht nur eine Deckung des von den Bezirksbürgermeistern festgestellten Mehrbedarfs von weiterhin 150 Millionen Euro für die Bezirke nach der Erhöhung der Zuweisung durch den Senat. Denn dieser Mehrbedarf reicht lediglich aus, um den Status Quo zu erhalten und die allgemeinen Kostensteigerungen sowie die Tarifentwicklung abbilden zu können. Für ein funktionierendes Berlin braucht es massive Personalzuwächse in den Bezirken, um die Antragsstaus beim Wohngeld oder anderen Leistungen aufzulösen. Oder damit niemand eine halbes Jahr auf einen Termin im Bürgeramt oder auf die Geburtsurkunde für den Nachwuchs warten muss. Die Berliner Koalition aus CDU und SPD ist nach der Wiederholungwahl 2023 mit diesem Versprechen angetreten. Angesichts der knappen Mittel für die Bezirke ist dieses Versprechen nicht einzulösen. Dabei hat die Koalition keinen Sparhaushalt vorgelegt. Rechnet man das Sondervermögen Klima mit ein, steigt der Berliner Haushalt in 2024 um 16 bis 29 Prozent gegenüber 2023. Und dabei sind die zusätzlichen Kreditermächtigungen für die landeseigenen Unternehmen, insbesondere für den Schulbau durch die Howoge, noch nicht eingerechnet. Im Vergleich dazu erhalten die Bezirke in 2024 lediglich 5 Prozent mehr als in 2023. Und das bei einer Inflation von über 6 Prozent und weiter steigenden Bedarfen.

Die Handlungsspielräume in den Bezirken sind äußerst begrenzt, müssen aber genutzt werden. Die Linksfraktion Neukölln hat beantragt, ca. 400.000 Euro aus dem Bürgermeisterbereich und der Wirtschaftsförderung in die Jugendarbeit umzuverteilen. Denn die Neuköllner Jugend ist wichtiger als neue Stellen im Bürgermeisterbüro.

Der Antrag wird in der kommenden Sitzung des Jugendhilfeausschuss am 21. September und voraussichtlich in der Sitzung des Ausschusses für Haushalt, Verwaltung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit am 26. September beraten. Die Abstimmung über den Haushaltsplan 2024/2025 ist für die BVV-Sitzung am 27. September angesetzt.