Erklärung der Linksfraktion Neukölln zur Abstimmung über die Entschließung “Solidarität mit der Programmschänke Bajszel”

In der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung am 15. Oktober 2025 stand eine Entschließung von CDU, SPD und Grünen mit dem Titel „Solidarität mit der "Programmschänke Bajszel“ zur Abstimmung. Wir als Fraktion Die Linke haben einen eigenen Änderungsantrag gestellt und daher den ursprünglichen Antrag abgelehnt. In diesem Änderungsantrag wie auch in unseren Redebeiträgen in der Debatte haben wir deutlich gemacht, dass wir Gewalt und Drohungen gegen die Betreiber:innen des Bajszel verurteilen. Warum wir dem Text der Entschließung von CDU, SPD und Grünen nicht zustimmen konnten, soll im Folgenden begründet werden.

Der Konflikt in Palästina und Israel bewegt Neukölln mit seinen vielen palästinensisch-stämmigen, aber auch zahlreichen jüdischen sowie israelisch-stämmigen Einwohner:innen, wie kaum eine andere Kommune in Deutschland. Von Seiten der Landes- und Bezirkspolitik wird Empathie jedoch höchst einseitig vergeben. Die Repression und Gewalt, die palästinensische Demonstrierende auf Neuköllner Straßen oder palästinensische Schüler:innen in Neuköllner Schulen erleben, werden belächelt, geleugnet oder die Opfer werden zu Täter:innen erklärt.

So wurde beispielsweise die Broschüre „Mythos Israel 1948“ vom Verein Masiyot e.V. auf Beschluss der BVV vom Bezirksamt an alle Neuköllner Schulen verschickt. Diese gibt unsachlich und einseitig die Perspektive der Rechten und extremen Rechten in Israel wieder und widerspricht zum Beispiel auch der Aufarbeitung des Palästina-Israel-Konflikts durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Kürzlich hat der Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) zu einem einseitigen „Gedenken an die Opfer des Hamas-Terrors am 7. Oktober 2025“ ins Rathaus eingeladen, bei dem die Zigtausenden Opfer der genozidalen Kriegsführung der israelischen Armee - entgegen einem BVV-Beschluss - wieder keine Erwähnung fanden. Zur Sitzung der BVV Neukölln am 15. Oktober haben der Bezirksbürgermeister und der BVV-Vorsteher dem Bürgermeister von Bat Yam, Tzvika Brot, kurzfristig und unter Missachtung der geltenden Regularien für eine halbe Stunde das Wort gegeben. Brot ist Mitglied des Likud, der Partei des international gesuchten Kriegsverbrechers Benjamin Netanjahu. Er nutzte das Forum, um die politische Linie der israelischen Regierung darzulegen, die für die unzähligen Kriegsverbrechen in Gaza sowie die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik im Westjordanland verantwortlich ist. Dementsprechend fanden der Völkermord und die Opfer der israelischen Kriegsführung keine Erwähnung. Die Vertreter:innen der anderen Parteien verloren kein einziges Wort der Kritik, sondern gaben nach der Rede sogar Standing Ovations. Diese Unterstützung des genozidalen Vorgehens der israelischen Regierung in der Neuköllner BVV ist ein Skandal. Einzig unsere Fraktion war um sichtbare Kritik an der Likud-Politik bemüht, bekam dafür aber keinen Raum. Daher entschieden wir uns dazu, den BVV-Saal vorübergehend verlassen. Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde eine palästinensisch-stämmige Verordnete der Grünen für ihre Mitgliedschaft im Bildungs- und Wohltätigkeitsverein Al-Huleh von der CDU als antisemitisch diffarmiert. Auch der Linken wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von allen anderen Parteien Antisemitismus unterstellt.

Der von der CDU initiierte Entschließungsantrag zur Solidarität mit dem Bajszel steht in Kontinuität dieser Einseitigkeit und Feindlichkeit einer Mehrheit der BVV gegenüber Palästinenser*innen. Die „Programmschänke“ Bajszel ist entgegen anderer Darstellungen keine jüdische Einrichtung. Die Betreiber:innen unterstützen unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Antisemitismus die israelische Regierung und Armee und rechtfertigen dabei die Entrechtung und Gewalt gegen Palästinenser:innen. Damit gefährden sie auch Jüd:innen. Vor zwei Jahren wurde der linke israelische Künstler Yuval Carasso nach einer anti-palästinensischen Veranstaltung im Bajszel, die er besuchte, um politischen Protest auszudrücken, von Polizeibeamten verletzt. Regelmäßig werden dort islam- und palästinafeindliche Veranstaltungen durchgeführt, teilweise mit rassistischen Mohammed-Karrikaturen beworben. Der Personenkreis hinter dem Bajszel betreibt auch den Verein Masiyot e.V., der die oben erwähnte geschichtsrevisionistische Broschüre „Mythos Israel 1948“ herausgegeben hat. Hierin werden Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und die Thematisierung des Landraubs während der Nakba als antisemitisch diffamiert.

Es ist dieser politische Kontext, der uns dazu veranlasste, einen Änderungsantrag zu der vorgeschlagenen Entschließung zum Bajszel einzureichen. Aufgrund der tendenziösen Ausrichtung der „Programmschänke“ Bajszel und der fehlenden Empathie der Antragsteller:innen für das Leid und die Nöte der Palästinenser:innen konnten wir dem einseitigen Entschließungstext von CDU, SPD und Grünen nicht zustimmen. In unserem Änderungsantrag haben wir deutlich gemacht, dass wir die Gewaltdrohungen gegen die Betreiber:innen des Bajszel genauso ablehnen wie die Gewalt gegen palästinensische Aktivist:innen. In Neukölln brauchen wir Empathie und Austausch anstatt Provokation und Repression.

Wir werden weiterhin einfordern, dass sich die Neuköllner Bezirkspolitik differenziert und einfühlsam mit den unterschiedlichen Perspektiven rund um Palästina und Israel und die Auswirkungen auf das Leben in Neukölln befasst. Die andauernde Repression gegen die palästinensische Bewegung ist gefährlich und gießt Öl ins Feuer. Auch von der Presse erwarten wir, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird und palästinensische Stimmen aus Neukölln zu Wort kommen lässt, statt sie zu diffamieren. Wir fordern Aufklärung und vollständige, differenzierte und kritische Berichterstattung.